In einem beispiellosen Vorgehen hat die Gemeinsame Glücksspielbehörde der Länder (GGL) in Deutschland hunderte von Strafverfahren gegen ausländische Online-Glücksspielanbieter eingeleitet. Diese Anbieter, die über eine ausländische Glücksspiellizenz verfügen, waren ins Visier genommen worden, da ihre Online-Dienste – naturgemäß – weltweit und somit auch in Deutschland zugänglich sind. Diese Aktionen der GGL haben in der Branche für erhebliche Unruhe gesorgt und führten auch dazu, dass gegen Privatleute ermittelt wurde, die bei ihrer Ein- und Ausreise an verschiedenen Flughäfen plötzlich mit den Konsequenzen der Strafverfahren konfrontiert wurden.

DR. SARAFI hat hierzu eine umfangreiche Stellungnahme bei der zuständigen Staatsanwaltschaft eingereicht und dabei auf völkerrechtliche Fragen des Strafanwendungsrechts hingewiesen und betont, dass die Rechtsauffassung der Gemeinsame Glücksspielbehörde der Länder (GGL) nicht haltbar ist und dass das deutsche Strafrecht bei solchen Auslandssachverhalten nicht zur Anwendung gelangt:

„Bei einem im Ausland betriebenen Server würde eine solche „Außenweltsveränderung“ nicht im deutschen Inland entstehen, sondern höchstens dort, wo der Server aufgebaut wurde und die Daten eingespeist wurden. Dies hängt letztlich mit der Funktionsweise des Internets zusammen. Vereinfacht gesagt stellt ein Computer, egal von wo aus dieser genutzt wird, bei Eingabe einer Webseite im Browser-Fenster über einen Internetservice-Provider (ISP) eine Verbindung zu demjenigen Server her, der die Webseite hostet. Wird z.B. die Webseite www.google.de aufgerufen, verbindet sich der Computer des Nutzers mit einem Server, auf dem die Inhalte von Google gespeichert sind. Diese Inhalte sind bereits auf dem Server vorhanden und werden nicht erst in dem Moment erstellt, wenn ein Nutzer, z.B. in Deutschland, die Seite aufruft. Vielmehr wird auf dem Computer des Nutzers das angezeigt, was bereits im Internet existiert. Die Außenweltsveränderung tritt bereits dann abschließend ein, wenn der jeweilige Betreiber der aufzurufenden Webseite diese im World Wide Web veröffentlicht. Auf dem zugrundeliegenden Server sind sämtliche Daten (Bits und Bytes) bereits endgültig hochgeladen.

Es überzeugt daher nicht, darauf abzustellen, die Außenweltsveränderung käme dadurch zustande, dass eine Teilnahmemöglichkeit der Spieler im deutschen Inland gegeben ist. Denn die Möglichkeit der Teilnahme ist bloß die Folge einer bereits längst eingetretenen Außenweltsveränderung; sie ist insoweit allenfalls eine Begleiterscheinung.

(…)

Mit dem 60. Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches hat der Gesetzgeber in Reaktion auf diverse Entscheidungen des BGH zu abstrakten Gefährdungsdelikten umfassende Änderungen in § 5 StGB vorgenommen. So wurden etwa ausweislich der Gesetzgebungsmaterialien die Tatbestände der §§ 86, 86a und 130 StGB als Reaktion auf die Rechtsprechung des BGH in den Katalog des § 5 StGB integriert, um eine Anwendbarkeit deutschen Strafrechts bei entsprechenden Handlungen im Ausland zu begründen. § 284 StGB hingegen wurde explizit nicht mit in den geänderten Katalog mit aufgenommen. Hierbei handelt es sich auch nicht um ein redaktionelles Versehen. Die Einführung des § 284 Abs. 4 StGB ging auf eine Anregung des Bundesrats zurück und sollte dem Umstand Rechnung tragen, dass infolge der Erweiterung der Telekommunikations-Möglichkeiten der eigentliche Veranstalter i.S.d. § 284 Abs. 1 StGB häufig nicht mehr im Inland tätig war und daher strafrechtlich nicht belangt werden konnte. Dem Gesetzgeber ist sehr wohl bewusst, dass ausländische Anbieter von Online-Glücksspielen nicht bestraft werden können. Demnach hat er die §§ 284 ff. StGB im Gesetzgebungsverfahren zu § 5 StGB nicht übersehen, was auch aus entsprechender Kommentarliteratur hervorgeht. Es dürfte völkerrechtlich auch nicht haltbar sein, das deutsche Strafrecht in ein weltweites Strafrechtssystem zu exportieren und auf alle ausländischen Anbieter anzuwenden, die über das Internet in Deutschland agieren. Dies würde eine erhebliche Extraterritorialität bedeuten und dürfte mit völkerrechtlichen Prinzipien nicht vereinbar sein.

Letztendlich ist es gegenwärtig nicht von Bedeutung, ob die Aufnahme der §§ 284 ff. StGB in § 5 StGB zulässig wäre. Vielmehr ist die Tatsache entscheidend, dass die §§ 284 ff. StGB derzeit nicht in § 5 StGB aufgenommen wurden. Diese legislativen Erwägungen unterstreichen die Notwendigkeit, das deutsche Strafrecht bei Handlungen im Ausland nur im Rahmen des Territorialitätsprinzips oder aufgrund expliziter Anordnung in § 5 StGB anzuwenden.

(…)“

 

Diese Argumentation fand nicht nur Gehör, sondern sie wurde wortwörtlich von der Staatsanwaltschaft in ihrer Entscheidung übernommen:

Am 15. Januar 2024 stellte die Staatsanwaltschaft alle Strafverfahren gegen hunderte von ausländischen Anbietern und gegen Streamer gemäß § 170 Abs. 2 StPO ein – ohne Zahlung von Geldauflagen.

Dieser Erfolg unterstreicht die Bedeutung eines wissenschaftlichen und dogmatischen Vorgehens auch in rechtspolitisch beeinflussten Verfahren. Es ist ein Zeichen dafür, dass selbst unter dem Druck mächtiger Behörden wie der GGL die Grundsätze des Rechtsstaats und die Notwendigkeit fairer rechtlicher Rahmenbedingungen bestehen bleiben.

Dieser Fall dient als Erinnerung und Mahnung an die Bedeutung von Rechtsstaatlichkeit und die Rolle der Justiz als Wächterin über die Einhaltung dieser Prinzipien. Es ist ein Beweis dafür, dass sachliche und fundierte juristische Argumentationen den Unterschied machen können.