Unser Mandant agiert öffentlichkeitswirksam im Internet als Live-Streamer, Content Creator und Social-Media-Influencer unter dem Pseudonym „KuchenTV“. Über eine Million Menschen folgen ihm auf YouTube, und dank des starken Interesses an seinen Inhalten hat unser Mandant auf der Amazon-Tochterplattform Twitch über 350.000 Abonnenten gewinnen und eine beträchtliche Reichweite aufbauen können.
Nachdem KuchenTV sich auf der Plattform Twitch kritisch über eine andere Streamerin äußerte und sich teilweise auch über sie lustig machte, wurde er von der Plattform Twitch für eine unbefristete Zeit ausgeschlossen. Twitch führte pauschal aus, unser Mandant habe die andere Streamerin psychisch unter Druck gesetzt. Unser Mandant selbst aber machte von seinem verfassungsrechtlich garantierten Recht auf Gegenschlag Gebrauch, denn er hat nicht über irgendeine Person gesprochen, sondern über jemanden, die wiederholt unseren Mandanten selbst thematisiert und sich negativ und abwertend über ihn geäußert hat.
Nachdem wir die Plattform Twitch außergerichtlich zur Entsperrung aufforderten und sie darüber aufklärten, dass der Sachverhalt nicht so einseitig ist, wie es dargestellt wird, verweigerte die Plattform Twitch die Entsperrung des Accounts unseres Mandanten. Auf unsere Ankündigung, gerichtliche Schritte einzuleiten, erwiderte Twitch selbstbewusst damit, dass das deutsche Recht nicht zur Anwendung gelange, da in den Twitch-AGB das US-amerikanische Recht vereinbart worden sei. Twitch verfolgt die Auffassung, dass sie das gegenüber solchen Streamern, die sie als „Profi-Streamer“ bezeichnet – also solche, die mit Twitch Geld verdienen – machen dürfe, da diese nicht als Verbraucher handeln würden. So heißt es in den Twitch-AGB:
Du und Twitch vereinbaren, alle Streitigkeiten, die sich aus diesen Nutzungsbedingungen oder deiner Nutzung der Twitch-Dienste ergeben, zu schlichten. Dabei gilt die Ausnahme, dass du und Twitch nicht verpflichtet seid, Streitigkeiten zu schlichten, bei denen eine der Parteien billigkeitsrechtliche oder sonstige Rechtsbehelfe für die behauptete unrechtmäßige Verwendung von Urheberrechten, Marken, Handelsnamen, Logos, Geschäftsgeheimnissen oder Patenten geltend macht. BEI EINEM SCHIEDSVERFAHREN MUSST DU NICHT GERICHTLICH KLAGEN ODER AN EINEM SCHWURGERICHTSPROZESS TEILNEHMEN. Du und Twitch vereinbaren, dass ihr euch innerhalb von dreißig (30) Tagen gegenseitig schriftlich über Streitigkeiten in Kenntnis setzt. Mitteilungen an Twitch sind an Twitch Interactive, Inc. z. H.: Legal, 350 Bush Street, 2nd Floor, San Francisco, CA 94104, USA zu senden. Du und Twitch vereinbaren des Weiteren Folgendes: dass ihr euch vor jeder Forderung nach einem Schiedsverfahren um die außergerichtliche Beilegung bemüht, dass alle Schiedsverfahren in Santa Clara County, Kalifornien, USA, stattfinden, dass Schiedsverfahren vertraulich durch nur einen Schiedsrichter nach den JAMS-Vorschriften durchgeführt werden und dass die bundesstaatlichen oder Bundesgerichte in Santa Clara County, Kalifornien, USA, ausschließlicher Gerichtsstand für alle Widersprüche gegen Schiedsentscheidungen und alle Verfahren zwischen den Parteien sind, die nicht dem Schiedsverfahren unterliegen. Mit Ausnahme der unten aufgeführten Gruppenverfahren und Rechtsbehelfe ist der Schiedsrichter berechtigt, jeden Rechtsbehelf einzuräumen, der auch vor Gericht verfügbar wäre.
(…)
Streitigkeiten zwischen den Parteien unterliegen dieser Vereinbarung und den Gesetzen des Bundesstaats Kalifornien und den anwendbaren US-Gesetzen unter Ausschluss der Grundsätze des Kollisionsrechts, die ggf. die Anwendung der Gesetzgebung eines anderen Gerichtsstands vorsehen.
Hier lag auch – anders als teilweise in der Öffentlichkeit suggeriert wird – der rechtliche Schwerpunkt: Es geht primär darum, die Zuständigkeit deutscher Gerichte herzuleiten und die in den AGB enthaltenen Rechtswahl-, Gerichtsstand-, Schlichtungs- und Schiedsgerichtsklauseln, auch unter Unternehmern, aufzubrechen.
Schon diverse Gerichte hatten zuvor in nicht von uns betreuten Fällen ihre Zuständigkeit gegen Twitch verneint, weil sie der Twitch-Argumentation gefolgt sind, dass die deutschen Zivilgerichte nicht zuständig seien und dass US-amerikanisches Recht Anwendung fände, so z.B. das Landgericht Landshut und das Amtsgericht Dresden.
Immerhin heißt es in Art. 3 der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I)
Freie Rechtswahl
Der Vertrag unterliegt dem von den Parteien gewählten Recht. Die Rechtswahl muss ausdrücklich erfolgen oder sich eindeutig aus den Bestimmungen des Vertrags oder aus den Umständen des Falles ergeben. Die Parteien können die Rechtswahl für ihren ganzen Vertrag oder nur für einen Teil desselben treffen.
Das heißt, Rechtswahlklauseln sind, v.a. unter Unternehmern, grundsätzlich zulässig und eine solche existiert in den Twitch-AGB.
Dennoch konnten wir am Landgericht Braunschweig durchsetzen, dass die Schiedsgerichtsklausel nicht greift und dass das deutsche Recht zur Anwendung gelangt. Hierzu waren ca. 200 Seiten im einstweiligen Rechtsschutzverfahren notwendig, um die Argumentation der Twitch-Anwälte zu entkräften.
Danach war klar: Die Art und Weise, wie Twitch KuchenTV sperrte, verstößt gegen die höchstrichterliche Rechtsprechung in Deutschland. Dass eine Sperre ohne Begründung nach deutschem Recht unwirksam ist, ist freilich nichts Neues.
KuchenTV hat mit DR. SARAFI am Landgericht Braunschweig gegen Twitch gewonnen und das erste Urteil gegen Twitch erwirkt.
Das Landgericht Braunschweig urteilte am 30. Januar 2024:
Twitch wird untersagt, das Nutzerkonto „KuchenTV“ auf der Streaming-Plattform www.twitch.tv wegen eines Verstoßes gegen die Nutzungsbedingungen unbefristet oder befristet zu sperren oder mit einer Sperrung vergleichbar einzuschränken und die Nutzung der Funktionen von www.twitch.tv vorzuenthalten, ohne den KuchenTV über eine beabsichtigte Sperrung seines Nutzerkontos vorab zu informieren und ihm die konkrete Aussage mitzuteilen, weswegen eine Sperre beabsichtigt ist und eine Möglichkeit zur Gegendarstellung einzuräumen, an die sich eine Neubescheidung anschließt.
Das Landgericht Braunschweig drohte für jede schuldhafte Zuwiderhandlung gegen diese Anordnung ein Ordnungsgeld von bis zu 250.000 € an, oder, falls dieses nicht eingetrieben werden könne, Ordnungshaft für die gesetzlichen Vertreter von Twitch, an.
Twitch entsperrte am 1. Februar 2024 vollständig den Kanal von KuchenTV, wie der NDR berichtete:
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